Das Internet und dessen Omnipräsenz hat viele Bereiche unseres Lebens stark verändert und auch vor Graffiti nicht halt gemacht. Besonders das Medium Video und seine Verbreitung übers Netz hat sich auf die Graffitikultur ausgewirkt.
Als uns das Internet noch nicht jederzeit auf unserem Smartphone zur Verfügung stand verbreitete sich Graffiti über Printmagazine, DVD’s oder auch VHS. Und natürlich über Wände und Züge. Damals lernte man Graffiti kennen, weil man in direkten und persönlichen Kontakt damit trat. Viele, die anfingen zu sprühen, taten dies, weil ein Freund sprühte. Demzufolge hatte man Freundschaften mit denen man die Leidenschaft für Graffiti teilte. Man traf sich an der Hall und verbrachte seine Nachmittage nach der Schule oder die Wochenenden damit gemeinsam zu malen. Man machte es sich gemütlich mit Musik, Getränken und Snacks. Dann wurde sich Zeit genommen das Bild zu entwickeln, man machte Pausen und diskutierte z.B. über die Farbe der Second oder wo man noch ein Addon anbauen könnte. Die älteren Maler , die 30er und 40er, machen das immer noch so.
Doch die heutige Graffitijugend geht scheinbar etwas anders an die Sache heran. Viele von ihnen haben Graffiti übers Internet kennengelernt. Sie schauen sich YouTube-Videos an und wollen es nachmachen. Es hat den Anschein, als ob durch das Medium Internetvideo bei vielen Nachwuchswritern der Eindruck entstünde ein gutes Piece würde in beinahe ebenso kurzer Zeit enstehen, wie die Abspieldauer des Videos ist.
Die Jungen Writer von nehmen sich weniger Zeit für ihre Bilder. Sie kommen zur Hall, klatschen ihr Bild dran, machen ein Foto und gehen wieder. Dafür brauchen sie oft nicht mehr als zwei Stunden. Sie machen keine längeren Pausen, um aus ein paar Schritten Abstand das halbfertige Bild mit ihren Kollegen zu diskutieren. Und wenn man neben ihnen malt und sie nach ihrer Meinung zu einer Farbwahl fragt scheinen sie mit der Frage nichts anfangen zu können.
Vor etwa einem Jahr habe ich einen Privatworkshop für zwei 15jährige an der Hall in Heimfeld veranstaltet. Sie sprühten beide schon seit ein paar Monaten und hatten sogar eine kleine Privathall im Garten des Einen. Nach etwa drei Stunden wurden die Zwei schon langsam müde. Nach 4 Stunden waren wir fertig und sie waren echt kaputt. Sie sagten mir, dass sie noch nie so lange an einem Bild gearbeitet hätten. Und zwischen den Bildern von dem Tag und ihren vorherigen waren große Unterschiede festzustellen.
Ein Video, das in 3 bis maximal 10 Minuten zeigt wie ein Piece entsteht, vermittelt die tatsächliche Zeit, die es gebraucht hat nur schwer. Dass man sich auch mal 5 Stunden, oder sogar zwei Tage für ein Bild Zeit nimmt, scheinen viele Videokonsumenten nicht zu verstehen. Leider bleibt dadurch das gemütliche Miteinander und der Austausch an der Hall auf der Strecke.
In meinen Augen ist diese Entwicklung zu bedauern, aber mir bleibt noch die Gewissheit, dass die Leute aus meiner Malergeneration an der Hall immer für eine Plauderei zu haben sind. Früher oder später muss der Nachwuchs doch merken, dass ein Burner nicht in zwei Stunden gemacht ist. Ich werde es jedenfalls machen wie gehabt und die seltenen Gelegenheiten, in denen ich noch ein Bild nur für mich selbst an der Hall male, in aller Ruhe genießen.
Viel Spaß beim Sprühen
Leider ist das nicht nur so mit Graffiti, es betrifft nahezu alle Bereiche des Machens, ja sogar des Rezipierens.
Die Handykids von heute können sich nicht mal ihren Lieblingsfilm auf DVD mit voller Konzentration von Anfang bis Ende ansehen. Da muss man Pausen machen, Zwischenfragen stellen (immer noch besser als Werbespots und Themenwechsel), dass sie bewusst durch den Film kommen. Das gilt auch für Lesen, Schreiben; Werkeln, Basteln oder alles andere — ich liebe die digitale Technik! Aber alles muss ein Maß haben, auch die Kürze und Oberflächlichkeit (die es immer geben wird), genauso wie die Ausdauer und Tiefenschürfung! Deshalb ist es die Aufgabe der älteren Generation(en), die Geister (Handies, WWW. usw.), die sie rief, nicht nur selber unter Kontrolle zu halten, sondern auch den Jungen nicht vor die ungeschulten Füsse zu werfen. Also sind wir Vorbild und machen etwas besser vor und mit den Kids gemeinsam schrittweise und stückchenweise erfolgsweise- sonst halten sie nicht durch! …
Interessante Beobachtung.